Fleischsommelier Thomas Mair im Interview über Trends am Fleischmarkt, weniger Fleischkonsum und mehr Qualität sowie die „nose to tail“-Philosophie, um geschlachtete Tiere ganzheitlich und nachhaltig zu verwerten.
Sie sind Fleischsommelier. Wie unterscheiden Sie sich von einem gewöhnlichen Metzger?
Ich habe keine klassische Metzgerausbildung, sondern Wirtschaft studiert, arbeite aber, seit ich klein war, bei uns in der Metzgerei mit. Deshalb denke ich wahrscheinlich etwas anders. Beim Fleischsommelier sind das Qualitätsdenken und die Sensorik sehr ausgeprägt. Wenn man Normalverbraucher nach dem Geschmack des Fleisches fragt, bekommt man zu 90 Prozent die Antwort: „Fleischig.“ Seit einigen Jahren arbeite ich daher an einem Fleischvokabular, um Fleisch besser beschreiben zu können. Wir sind es nicht mehr gewohnt, an Fleisch zu riechen und es zu schmecken. Wir wissen auch nicht, wieso ein Stück Fleisch auf eine bestimmte Weise riecht oder schmeckt. Hier hilft ein Vokabular, sich mit Qualität auseinanderzusetzen. Als Fleischsommelier ist man auch Fleischbotschafter und versucht, den Leuten das Produkt Fleisch näherzubringen. Dazu gehört nicht nur die sensorische Beschreibung, sondern die ganzheitliche Information von Rasse, Aufzucht, Schlachtung, Reifung bis hin zur Zubereitung und zum Marketing.
Wie sehen Sie den derzeitigen Fleischmarkt in Südtirol?
Für kleine Produzenten ist die Entwicklung hin zu vegetarischer und veganer Ernährung sogar eher förderlich, da Fleisch bewusster konsumiert wird. Die Qualität und die Nachhaltigkeit gewinnen an Bedeutung. Südtirol brilliert auf dem internationalen Fleischmarkt nicht mit der Zartheit des Fleisches. Dies liegt daran, dass wir einerseits hauptsächlich Zweinutzungsrassen wie Simmentaler, Grauvieh oder Pustertaler Sprinzen halten und nicht reine Fleischrassen wie Angus. Andererseits haben die Tiere meistens viel Bewegung, folglich ist das Fleisch bissfester. Dafür kann das Fleisch aus Südtirol durch die Bewegungsfreiheit der Tiere im Geschmack punkten. Muskeln, die viel bewegt werden, sind nämlich geschmacksintensiver. Wir haben das Potenzial, uns von der Menge abzuheben, da wir nachhaltig produzieren können und uns immer wieder aufs Neue die Frage stellen, wie wir die Nachhaltigkeit in der Fleischproduktion erhöhen können. Wir roden keine Wälder, um Soja anzubauen, Futtermittel sind meist vom Hof, und das Vieh ist viel auf der Alm und betreibt dort Landschaftspflege.
Der Trend geht immer stärker hin zu weniger Fleischkonsum, aber dafür mehr Qualität. Wie sehen Sie das?
Auch ich vertrete dieses Qualitätsdenken. Weniger Fleisch essen, nur zweimal wöchentlich statt täglich, aber dafür ein gutes, ist meine Devise. So isst man mit gutem Gewissen, und das Fleisch ist für die Umwelt und unsere Gesundheit weniger schädlich als Fleisch aus Südamerika. Fleisch von Tieren, die intensiv mit Mais, Soja und Getreide gemästet werden, ist für die Gesundheit des Menschen viel schädlicher als Fleisch aus Südtirol, wo das Tier vorwiegend Gras und Heu frisst. So enthält Fleisch, das nachhaltig in Südtirol produziert wird, viel mehr Omega3 und weniger gesättigte Fettsäuren. Dies kann im Verkauf auch hervorgehoben werden, da Gesundheit ein großer Ernährungstrend ist.
Ihre Ideologie als Fleischsommelier ist die ganzheitliche Verwertung von Schlachtkörpern. Stichwort: „New Cuts“. Was kann man sich darunter vorstellen?
„New Cuts“ sind Fleischteile, die jedes Rind hat, die aber fälschlicherweise als „unedle Teile“ betitelt werden. Da die Kunden bis vor kurzer Zeit nur Filet und Roastbeef wollten, wurden diese Fleischteile früher noch traditionell verwertet. Sie wurden verwurstet oder faschiert, oder wurden zu Schmor und Bratenstücken verarbeitet. Wichtig ist, dass man die „New Cuts“ nicht als „unedle Teile“ oder „BCuts“ verkauft, denn dies vermittelt dem Kunden eine Abwertung, die den Fleischstücken nicht gerecht wird. Deshalb verwendet man die Begriffe „New Cuts“ und „Special Cuts“. Heutzutage werden diese „New Cuts“ meist gegrillt. Die Zubereitungsart der „New Cuts“ machen uns vielfach die Südamerikaner vor. Zum Beispiel ist „Picanha“ ein Tafelspitz und in Brasilien, zubereitet auf einem Spieß, ein Nationalgericht. Bei uns war Tafelspitz früher ein klassisches Suppenfleisch. Auch das „Flat Iron“, also das Bugblatt, wurde früher für Gulasch oder Schmorbraten verwendet. Heutzutage trennt man die dicke Mittelsehne raus und macht daraus zwei gute Kurzbratstücke. Das „Skirt Steak“ ist das Zwerchfell, das zuletzt zu Zeiten unserer Großeltern im Ganzen verkauft wurde, jetzt aber wieder auf dem Grill landet. Wir verwerten vom Schlachtkörper mittlerweile fast alles. Der Großteil wird verkauft, und einzelne Stücke, wie etwa die Lunge oder andere Innereien, werden zu Hundefutter. Dies machen wir im Sinne der Tierethik und der Nachhaltigkeit und schließen so den Kreislauf der ganzheitlichen Verwertung.
Wie bringen Sie diese „New Cuts“ an die Frau und den Mann?
Vor fünf Jahren habe ich angefangen, Barbecue und Grillkurse abzuhalten. Diese waren für mich eine verkaufsfördernde Maßnahme, um den Kunden zu zeigen, wie man diese Stücke zubereitet. Geschmacklich sind sie hervorragend, man muss einfach nur wissen, wie die Zubereitung funktioniert. Außerdem veröffentliche ich auf unserer Website Rezepte mit Fotostrecke und Vorstellung vom Fleischstück. Dadurch habe ich regelmäßige Inhalte für die Social Media und kann zudem den Kunden Hilfe bei der Zubereitung bieten. Die Rezepte vergebe ich auch direkt im Geschäft. Wenn Konsumenten die Stücke falsch zubereiten, werden sie auch nicht glücklich damit sein und sie nicht wiederkaufen. Hier muss man wirklich viel in die Beratung investieren. Zudem wirken die englischen Begriffe auch verkaufsfördernder, „Zwerchfell“ und „Nierenzapfen“ kommen beim Kunden einfach nicht gut an.
Wie sehen Sie die Zukunft des Fleischmarktes in Südtirol und das Potenzial für bäuerliche Direktvermarkterinnen und Direktvermarkter?
Hier muss man differenzieren. Der Tourismus braucht extrem viel Fleisch, diesen werden wir mit Südtiroler Fleisch mengenmäßig nicht schaffen zu bedienen. Für die Südtiroler Bevölkerung könnten wir es schaffen, aber dies gelingt nur mit einem Umdenken in der Gesellschaft. Wir müssen bereit sein, auch andere Stücke abseits vom Filet zu essen, und werden wieder lernen müssen, dass nicht jedes Fleischteil zu jeder Zeit verfügbar ist. Die Direktvermarktung hat ein großes Potenzial. Hier ist jedoch Qualität gefragt. Südtirol kann nur mit Qualität punkten, denn mit Masse können wir nicht mithalten. Es ist nicht leicht, ein guter Bauer, Metzger und Verkäufer gleichzeitig zu sein. In einem Unternehmen gibt es normalerweise dafür einzelne Spezialisten, um die Qualität zu garantieren. In der Direktvermarktung kann dies nur erfolgreich funktionieren, wenn mindestens drei bis vier Leute in der Familie mithelfen und diese dafür auch entsprechend gut ausgebildet sind.
Quelle: Südtiroler Landwirt, Janine Gamper