Schneelose Piste

Was bleibt, wenn der Schnee geht?

Schneegarantie! So lautet oftmals das Zauberwort in Südtirols Winterdestinationen. Doch immer mehr Wintersportorte merken, dass Winter nicht automatisch Schnee bedeutet – und neue Strategien dringend nötig sind. Im EU-Projekt BeyondSnow entwickeln kleine Tourismusgemeinden in niedrigen und mittleren Lagen Konzepte, um auch bei weniger Schneetagen attraktiv zu bleiben. Philipp Corradini ist Tourismusforscher am Institut für Regionalentwicklung im Forschungszentrum Eurac Research. Er erklärt im Interview, worum es im Projekt geht und warum es wichtig ist, sich schon jetzt – in einer Position der Stärke – mit der Thematik zu beschäftigen, bevor die Winter unberechenbar werden.

„BeyondSnow“ bedeutet so viel wie „Jenseits des Schnees“. Müssen die Tourismusgebiete in niedrigen und mittleren Lagen mit schneelosen Wintern rechnen?

Philipp Corradini: So extrem wird es wahrscheinlich nicht werden. Aber einige Anzeichen sind bereits heute spürbar: Die Temperaturen steigen, Niederschläge werden unberechenbarer, extreme Naturereignisse häufiger. In unserem Projekt ging es jedoch nicht darum, düstere Zukunftsszenarien zu zeichnen oder das Ende des Skitourismus vorherzusagen …

„Es geht darum, resilienter gegen den Klimawandel zu werden und auch potenzielle neue Chancen, die dabei entstehen, zu nutzen."
Philipp Corradini, Tourismusforscher bei Eurac Research
Philipp Corradini
Tourismusforscher bei Eurac Research

Sondern …?

Darum zu zeigen, wie kleine Tourismusdestinationen aktiv handeln können, bevor der Winter unberechenbar wird. Die EU fördert entsprechende Projekte, und eines davon ist BeyondSnow. 13 Partner und zehn Pilotgebiete im Alpenraum haben dabei Strategien dafür entwickelt, wie die Destinationen trotz Klimawandel ihre Attraktivität für Gäste und Einheimische sichern oder sogar steigern können. Es geht darum, resilienter gegen den Klimawandel zu werden und auch potenzielle neue Chancen, die dabei entstehen, zu nutzen.

Warum standen nur kleine Skigebiete im Fokus?

Weil sie bei Krisen am verletzlichsten sind. Einige sind schon dem Klimawandel zum Opfer gefallen, etwa etwa Monesi di Triora in Ligurien, wo der Skibetrieb 2020 komplett eingestellt wurde. Kleine Gebiete haben oft zu wenig Mittel, um technische Lösungen oder teure Investitionen umzusetzen. Andere überschätzen sich und investieren zu kurzfristig.

Was bewegt kleine Skigebiete dazu, weiterhin auf den Wintertourismus zu setzen? 

Ich darf vorausschicken: Dorflifte haben oft auch eine soziale Berechtigung, selbst wenn die (touristische) Rechnung nicht immer aufgeht. Sie sind soziale Treffpunkte – vor allem für Einheimische und für die Kinder, die dort Skifahren lernen und die Kunden von morgen sind. Deshalb werden solche Anlagen auch unterstützt. Jedoch sollten trotz allem auch die klimatischen Rahmenbedingungen passen. Warum Tourismusdestinationen oft am Winter festhalten, liegt auch daran, dass Wintergäste, und vor allem Skitouristen, mehr Umsatz bringen als Sommergäste. Verständlich also, dass man auf diese Einnahmen nicht verzichten will. Andererseits werden im Winter mehr Ressourcen verbraucht, und wenn diese knapper oder teurer werden, entstehen zusätzliche Herausforderungen.

Was bedeutet es, „resilient gegen den Klimawandel“ zu sein?

Resilienz bedeutet in diesem Kontext, den Risiken des Klimawandels angemessen zu begegnen. Jede Destination hat allerdings unterschiedliche klimatische, geografische, topografische, wirtschaftliche, kulturelle und soziale Voraussetzungen. Ein Skigebiet in 1.800 Metern Höhe mit vielen Nordhängen und günstiger Luftfeuchtigkeit wird weniger Probleme haben als ein Ort auf 2.000 Metern, wo beispielsweise mehrere Pisten nach Süden ausgerichtet sind. Da gibt es viele Parameter, die bei der Entwicklung von Strategien zu berücksichtigen sind. 

Von welchen Strategien reden wir konkret?

Generell geht es darum, sich nicht allein aufs Skifahren zu fokussieren. Beispiel Balderschwang im Allgäu – rund 400 Einwohner, ein Dutzend Lifte bis auf maximal 1500 Meter Meereshöhe, rund 40 Kilometer Loipen. Im Moment gilt das Dorf noch als schneesicher. Aber es ist schon mit schneearmen Wintern konfrontiert worden. Im Zuge des Projektes BeyondSnow hat es nun als eine der ersten Maßnahmen die Winterkommunikation umgestellt. Es wirbt mit „ganzjährigem Natururlaub für drei Generationen“ und möchte damit die Nebensaisonen attraktiver machen. Dabei müssen natürlich alle mitspielen, vom privaten Liftbesitzer, der die Anlage länger öffnet, über die Beherbergungsbetriebe, die ihre Saison ausdehnen, bis zur Gastronomie und dem Handel. 

Was sicher eine Hürde darstellt …

Ja, aber darum geht es im Projekt – mit solchen Ausgangssituationen Lösungen zu suchen und dabei alle zentralen Interessensgruppen ins Boot zu holen.

„Partizipation ist extrem wichtig. Nicht nur, damit sich die Bevölkerung einbringen kann, sondern auch, um die Strategien mit ihrem Wissen zu bereichern. "
Philipp Corradini, Tourismusforscher bei Eurac Research
Philipp Corradini
Tourismusforscher bei Eurac Research

Womit wir bei der Partizipation wären – einem Stichwort, das in den Projektunterlagen häufig vorkommt …

Partizipation ist extrem wichtig. Nicht nur, damit sich die Bevölkerung einbringen kann, sondern auch, um die Strategien mit ihrem Wissen zu bereichern. Warum sollte ein Handwerker oder ein Busunternehmer nicht auch eine gute Idee und Informationen für die Aufwertung der Nebensaison, für neue Attraktionen oder andere Maßnahmen haben? Natürlich zieht die Partizipation den Prozess in die Länge – was nicht immer allen gefällt…

Aber …?

Wir dürfen nicht vergessen: Die wichtigste Ressource für die touristische Attraktivität des Alpenraumes ist die Natur, mit allem, was damit verbunden ist, also Landschaft, Aktivitäten im Freien und vieles andere. Gleich danach folgen die Kultur und das damit verbundene soziale System, also die Menschen, die hier leben und arbeiten. Nur wenn wir die natürlichen Ökosysteme respektieren und wenn wir alle Menschen vor Ort mitnehmen, entstehen realistische Lösungen, die breite Unterstützung haben. Das gilt übrigens ganz besonders für die jungen Menschen, denn sie sind es, die mit den weiteren Folgen des Klimawandels umgehen werden müssen.

Welche zentralen Erkenntnisse haben du und dein Forscher-Team aus dem Projekt gewonnen?

Wir haben im Lauf des Projektes festgestellt, dass die Wahrnehmung der Menschen oft von der Realität erheblich abweicht. Deshalb ist eine der Erkenntnisse, dass es verlässliche quantitative Daten als Basis braucht, die mit lokalem und qualitativ hochwertigem Wissen bereichert werden sollten. Auf dieser Basis kann dann eine sinnvolle Strategie aufgebaut werden. Systematisches Vorgehen ist also sehr wichtig. Unser Projekt teilte sich in drei Phasen. Allein die Ist-Analyse nahm ein Jahr in Anspruch, ein weiteres Jahr dauerte die partizipative Ausarbeitung der Strategien und der möglichen Maßnahmen. 

Wie ging es in der dritten Phase weiter? 

Da das Projekt auf drei Jahre begrenzt war, einigten sich die Pilotgemeinden darauf, in der dritten Phase eine oder zwei in dieser Zeit realistische Maßnahmen umzusetzen. Das führte zu einigen spannenden Entwicklungen. In Métabief in Frankreich wurde zum Beispiel die Pistennutzung genau untersucht. Dabei hatte sich gezeigt: Die Hälfte aller Ressourcen für technischen Schnee floss in eine einzige Piste – steil, nach Süden ausgerichtet, aber nur zu rund 20 Prozent befahren. Daraufhin entschied sich der Ort, die Piste komplett zu schließen, was Einsparungen in Millionenhöhe und eine bessere Beschneiung der anderen Pisten ermöglichte. Der Ort will den Fokus künftig auf Familien richten. So ein Schritt braucht Mut. Einige Gäste gehen bestimmt verloren, andere können dafür neu gewonnen werden. Ein solcher Wandel ist immer ein längerer Prozess und sorgt verständlicherweise bei einigen für Unsicherheit.

Selbst wenn beim Projekt kein Südtiroler Gebiet dabei war – wie beurteilst du die Situation hier im Land?

Ich habe gesehen, dass das Thema Klimawandel in Südtirol angekommen ist, also dass sich Tourismusgebiete bereits damit auseinandersetzen, was wirklich sehr gut ist. Aber vielleicht kann das Projekt BeyondSnow für den einen oder anderen noch ein Anstoß zum Nachdenken sein oder auch bei der Ideen- und Produktentwicklung inspirieren. 

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Interview: Edith Runer

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