Lernen von den Besten – diese Chance gibt’s nicht alle Tage. Doch am 8., 9. und 10. April ist sie da: Michaela Reitterer, Gastgeberin des weltweit ersten Stadthotels mit Null-Energie-Bilanz. Bei der Veranstaltung Green Hospitality – Hotellerie und Gastronomie mit Zukunft zeigt die Wiener „Green Queen“, dass Nachhaltigkeit kein unerreichbares Ziel ist, sondern ein machbarer Weg – und einer, der die Zukunft der Hotellerie prägen wird.
Frau Reitterer, ein Hotel mit Null-Energie-Bilanz – was dürfen sich die Gäste darunter vorstellen?
Das, was hier steht: Wir erzeugen in unserem Passivhaus während eines Jahres so viel Energie, wie wir in dem Jahr benötigen. Unser Stammhaus wurde 2009 um diesen Anbau mit 38 Zimmern erweitert. Darin heizen und kühlen wir u. a. mit Betonkernaktivierung, Wärmepumpen und Sonnenenergie. Regenwasser dient zur Bewässerung und für die Toilettenspülung.
Du hast noch eins draufgesetzt und die 17 Nachhaltigkeitsziele der UNO in deinem Arbeitsalltag integriert. Was steckt hinter diesem Projekt?
Im Jahr 2018 kam gabarage upcycling design, ein gemeinnütziges Unternehmen, mit der Idee auf uns zu, 17 Zimmer umzugestalten und dabei jedem der 17 SDGs – das steht für Sustainable Development Goals – ein Zimmer zu widmen. Gabarage beschäftigt Menschen, die wieder in den Arbeitsmarkt zurückgeführt werden sollen. Konkret sollten jedes Zimmer mit Upcycling-Möbeln eingerichtet werden, die ein Bewusstsein für das jeweilige Nachhaltigkeitsziel schaffen. Ich war sofort begeistert von dieser Idee und habe fortan in ganz Österreich Teile für die Upcycling-Accessoires gesammelt, die dann von den gabarage-Mitarbeitenden zu Möbeln umgebaut wurden. Im Zuge dieses Prozesses begannen wir, alle Entscheidungen im Hotel zu hinterfragen, also zu überlegen, ob sie wohl einem der SDGs gerecht werden. Am Ende haben wir die SDGs Schritt für Schritt in unser tägliches Tun integriert. Es war also kein festes Projekt, sondern ein Prozess.
Es geht in deinem Hotel also nicht nur um Energieeffizienz, sondern auch um soziale Nachhaltigkeit …
Genau. Das SDG 5 „Gleichheit für alle“ zielt beispielsweise darauf ab, den schwächeren Menschen – egal, ob auf der nördlichen oder südlichen Halbkugel, ob mit besonderen Bedürfnissen oder einfach von der Region her benachteiligt – faire Chancen zu ermöglichen.
Ich finde diese SDGs super, weil sie anschaulich zeigen, dass es 17 verschiedene Möglichkeiten gibt, nachhaltig zu agieren und dass man nicht immer die Photovoltaikanlage auf dem Dach benötigt, um es zu tun.
Du hast viel geschafft. Hast du auch Lehrgeld bezahlt?
(lacht) Ich habe sehr viele Fehler gemacht, aber ich habe dabei auch viel gelernt. Zum Beispiel habe ich beim Bau des Passivhauses den Technikern alles geglaubt und nichts hinterfragt habe. Das habe ich später bereut. Aber was soll’s – im Jahr 2009 war nicht viel Expertise da, auf die ich mich hätte verlassen können. Wir mussten alle positiven und negativen Erfahrungen selbst machen. Es braucht ja immer „Frontrunner“, damit notwendige Entwicklungen ins Laufen kommen. Heute macht es mich aber unglaublich stolz, dass ich diesen Weg gemeinsam mit meinem Team gegangen bin.
Trotzdem die Frage: Warum hast du dir das angetan?
Ich wollte einfach etwas für die Umwelt tun, dachte mir: Sonne, Wasser und Wind sind eh da, warum soll ich teures und umweltschädliches Öl kaufen? Der erste Schritt war ja nur die Photovoltaikanlage auf dem Dach. Ich habe natürlich auch dran geglaubt, dass man diese Philosophie dem Gast gut kommunizieren kann. Aber damals wusste selbst nicht, wie weit wir noch gehen würden.
Dein Boutiquehotel hat das EU-Ecolabel, wurde mit mehreren anderen Umwelt-Auszeichnungen bedacht und verfügt über eine Reihe von Nachhaltigkeitszertifizierungen. Was hältst du von solchen Zertifikaten für Hotels?
Ich bin ein Fan von Zertifikaten, sofern sie im jeweiligen Land ausgearbeitet und dort vergeben werden. Große, beispielsweise amerikanische Labels, die angeblich der Vermarktung dienen, halte ich hingegen für absolut sinnlos. Sie kosten viel Geld und bringen nichts. Wenn man sich entscheidet, ein lokales Zertifikat und eventuell dazu das Europäische Umweltzeichen zu erreichen, beginnt man sich als Gastgeber, mit dem Thema auseinanderzusetzen. Genau das ist der alles entscheidende Ansatz: Der Weg ist das Ziel. Nachhaltigkeit ist, wie schon erwähnt, kein Projekt, sondern ein Prozess. Ein gutes Zertifikat stößt diesen Prozess an. Damit hat man schon halb gewonnen.
Traust du dir das, was du geschafft hast, allen zu? Oder ist es beispielsweise in sehr kleinen Familienbetrieben schwierig, weil zu teuer, zu wenige Ressourcen und zu viel Aufwand?
Gerade in kleinen Betrieben werden einige SDGs bereits umgesetzt, zum Beispiel SDG 8 für faires Arbeiten, SDG 12 für nachhaltige Produkte in der Küche oder SDG 15 den Schutz der Ökosysteme. Viele machen also schon vieles – nur erzählen sie nichts darüber. Aber sie sollten es tun. Bei uns in Österreich greifen immer mehr Destinationen die Nachhaltigkeit auf, weil die Gäste – und es werden immer mehr – auch im Urlaub etwas für die Umwelt tun, ein gutes Gewissen haben möchten. Das ist die Gelegenheit schlechthin für kleine Unternehmen. Denn bei diesem Thema fressen nicht die Großen die Kleinen, sondern die Schnellen die Langsamen.
Du bist im April zu Gast in Tiers, Schenna und St. Vigil. Welche zentralen Botschaften möchtest du den Teilnehmenden der Veranstaltung mitgeben?
Ich werde ihnen eine ganze Menge mitgeben, aber vor allem den Input, dass es nicht so viel kostet, mit Nachhaltigkeit zu beginnen. Eine Botschaft wird auch sein, dass viele oft schon viel mehr tun, als sie sich bewusst sind. Dieses Bewusstsein möchte ich schaffen und ein paar Anhaltspunkte vermitteln, wo die Teilnehmenden morgen beginnen oder weitermachen können.
Hast du eine Vision für den nachhaltigen Tourismus?
Ja, dass Europa in diesem Bereich führend auf der Welt ist. Wenn wir dieses Thema aus der Hand geben, dann ist uns wirklich nicht mehr zu helfen! Wir werden es authentisch leben müssen, weil breite Tourismusakzeptanz genau hier ansetzt.
Zur Person
Michaela Reitterer (60), zweifache Mutter, dreifache Oma, wollte seit ihrem 6. Lebensjahr ein Hotel besitzen – nicht nur darin arbeiten: „Ich habe ein ausgeprägtes Unternehmerinnen-Gen“. Mit 36 Jahren hat sie sich diesen Wunsch erfüllt und ihren Eltern das Wiener Hotel Stadthalle abgekauft, das sie erworben hatten, nachdem Michaela und ihre Schwester von daheim ausgezogen waren. Gekauft deshalb, um Erbschaftsdiskussionen auszuschließen. Sie baute es zum Boutiquehotel um und erweiterte es mit einem Passivhaus-Anbau. Neben Energiemaßnahmen prägen u. a. biologische Speisen, Abfallvermeidung, Honigproduktion auf dem grünen Dach sowie zahlreiche weitere Maßnahmen den Hotelalltag.
Von 2013 bis 2022 war Michaela Reitterer Präsidentin der Österreichischen Hoteliersvereinigung, seit 2022 ist sie Tourismussprecherin der CEOs 4 Future.
Nutze die Chance zum Austausch mit Michaela Reitterer und engagierten Touristiker:innen - bei der Veranstaltung Green Hospitality – Hotellerie und Gastronomie mit Zukunft.
8. April: Tiers, Hotel Cyprianerhof, 14.30–17.00 Uhr
9. April: Schenna, Schenna Resort, 9.30–12.00 Uhr
10. April, St. Vigil, Hotel ama stay, 9.30–12.00 Uhr