Dem Tourismus von morgen auf der Spur
Der Tourismus ist ein wichtiger Wirtschaftszweig Südtirols: Zu jeder Jahreszeit genießen zahlreiche Gäste die kulinarischen, landschaftlichen und kulturellen Vorzüge der Region. Ein so lebendiger Tourismus bringt aber auch Herausforderungen mit sich wie überfüllte Plätze, reges Verkehrsaufkommen und einen Arbeitskräftemangel. Aufbauend auf die Studien zum Status quo sowie unter Einbeziehung aktueller Marktforschungsdaten und Trendstudien hat IDM das Projekt „Tourismus Roadmap 2030“ gestartet, aus dem das Leitmotiv TourisMUT hervorgegangen ist.
Wir wollen damit ein Zukunftsbild für den Südtiroler Tourismus entwerfen, das den Anforderungen der Zeit entspricht und innovativ nach vorne blickt. Damit auch innerhalb der Unternehmen in Südtirol zielführende Entscheidungen getroffen werden, ist das Führen über Werte entscheidend. Als steuerndes Werkzeug dient hier ein sogenanntes Leitmotiv inkl. eines Wertehauses.
In Workshops, Einzelinterviews und Onlinebefragungen wurden mehr als 3.800 Einzelaussagen von rund 300 progressiven Denkerinnen und Denkern aus Südtirol, angesiedelt in mehr als 20 unterschiedlichen Disziplinen, gesammelt und analysiert. Dabei wurden beide Geschlechter berücksichtigt und neben „etablierten“ Unternehmen kam vor allem die junge Generation (die „Youngsters“) zu Wort. Aus den Inputs wurden im Laufe des Prozesses vier Wertefelder extrapoliert. Ebenfalls Ergebnis dieses intensiven Dialogprozesses: ein neues Leitmotiv für den Südtiroler Tourismus der Zukunft.
Auf dieser Reise zur Vision „Tourismus 2030“ steht auf der einen Seite das Individuum, etwa die Unternehmerin oder der Unternehmer, auf der anderen das System als Gesamtes, etwa die Gesetzgebung. Um einen bedeutenden Fortschritt in Richtung Zukunft zu erreichen, ist es wichtig, dass beide Seiten den Wandel vorantreiben. Deshalb hat IDM die TourisMUT Plattform ins Leben gerufen, um Raum für zukunftsorientierte und innovative Projekte zu schaffen und Impulse zu setzen.
Diese Vision für die Region Südtirol ist auch die Vision für den Tourismus. Alle Sektoren folgen dieser Vision, jeder Sektor leistet seinen individuellen Beitrag zur Zielerreichung. Die Dachmarke Südtirol als Steuerungsinstrument und der programmatisch geprägte Markenkern geben die zentrale Entwicklungsrichtung vor. „Qualität fürs Leben“ – das ist die Essenz der Marke Südtirol und damit der Kern aller Produkte und Erlebnisse, die in den diversen Branchen hergestellt und angeboten werden. Schon heute steht das touristische Angebot Südtirols für höchste Qualität. Diese Qualität gilt es weiter auszubauen. Es geht also um weit mehr als die besten Infrastrukturen: Es geht um die Qualität der zwischenmenschlichen Beziehungen, um die Qualität der Serviceleistungen, um die Art der persönlichen Erfahrungen in der Natur und vieles mehr.
Das Wort TourisMUT setzt sich zusammen aus „Tourismus“ und „Mut“. Der Begriff „Tourismus“ schafft hier zum einen die Basis für ein neues Selbstverständnis der Branche und vereint Etablierte und Youngsters in einer Schicksalsgemeinschaft. Zeitgleich drückt es den Stolz aus, der in der Touristik fest verankert ist und dessen Kraft genutzt werden kann.
Das Wort „Mut“ ist ein Appell, mutige Entscheidungen zu treffen, und richtet sich an Pionierinnen und Pioniere aus der vergangenen Zeit und vor allem aus der Zukunft. Jene, die Südtirol zu einer der erfolgreichsten Destinationen im europäischen Raum gemacht haben, weiterhin machen werden – und zukünftig dafür Sorge tragen, dass dies so bleibt.
Dieser Pioniergedanke und die damit verbundenen Attribute Mut, Kreativität, Zielstrebigkeit und Umsetzungsstärke sollen den Weg ebnen für neue, anerkannte Vorbilder in der Branche.
Die Frage, die sich für den Tourismus stellt, lautet: Wie kann der Sektor konkret zur Erhöhung der Lebensqualität in Südtirol beitragen? Damit verbunden sind die Fragen: Was kann Südtirol besonders gut? Wie wird Südtirol als Lebensraum und als touristische Destination begehrenswert?
Es geht also um die eine klare Positionierung der Region. Nur so kann Südtirol vermeiden, im Einheitsbrei der touristischen Angebote mit anderen Destinationen zu landen. Wer ein klares Profil hat und sich von anderen unterscheidet, entzieht sich dem Preiskampf und sichert damit eine entsprechend hohe Wertschöpfung, eine der Grundlagen für die Zukunftsfähigkeit der Region.
Leitmotiv und Werte bilden die Leitplanken auf diesem Weg und dienen dazu, auf allen Ebenen, auch auf der individuellen, d.h. betrieblichen Ebene und unabhängig von Gesetzestexten, stets die richtigen Entscheidungen zu treffen. Gleichzeitig braucht Südtirols Tourismus übergeordnete, strategische Fokusfelder und Programme, in die die knappen finanziellen und personellen Ressourcen bevorzugt investiert werden.
Die Themen, die sich im Wertehaus Südtirols widerspiegeln, müssen übergreifend zu allen Fokusfeldern gedacht werden. Konkret: Die Themen Identität und Marke, Naturschutz und Nachhaltigkeit, Innovation und Digitalisierung sowie Gemeinschaft und Zusammenarbeit sollen die Basis für alle Entwicklungs- und Lösungsansätze bilden und immanenter Bestandteil dieser sein.
Südtirols einzigartige alpin-mediterrane Natur- und Kulturlandschaft und die Produkte, die in dieser Landschaft nachhaltig erzeugt werden, bilden die Grundlage für das Urlaubserlebnis: Draußen erleben Gäste diese Landschaft beim Wandern und Biken, drinnen genießen sie die Früchte dieser Landschaft auf dem Teller. Draußen beobachten sie die Anbauflächen der Rohstoffe während des Urlaubs, im Unterkunftsbetrieb lernen sie die Produkte u. a. in Form von Anwendungen kennen und später, zu Hause, erinnern diese immer wieder an das Erlebnis vor Ort. Was dem Stärkefeld „Tourismus & Landwirtschaft“ zusätzliche Relevanz verleiht, sind weltweite Trends wie Achtsamkeit und Slow Culture, gesunde und bewusste Ernährung, Holistic und Preventive Health.
Wenn Südtirol es also schafft, diese einzigartigen Voraussetzungen mit neuen Kompetenzen in der Herstellung von natürlichen Lebensmitteln und Naturkosmetik zu verbinden und diese Synergien als Gesamtpaket zu vermarkten, entsteht eine neue Kraft für die Marke Südtirol. Das bedeutet zum einen zusätzliche Wertschöpfung, die ganzjährig generiert wird. Zum anderen lassen sich hier andere Branchen außerhalb des Tourismus und des Agrarsektors einbinden, um noch mehr Synergien zu erzeugen (Forschung & Entwicklung, Bildungsanbieter, Naturkosmetikhersteller etc.)
Damit dies gelingt, müssen die Akteure der beiden Sektoren Landwirtschaft und Tourismus näher zusammengeführt werden. Kleine Kreisläufe, der heimische Selbstversorgungsgrad in der Gastronomie sowie Landschafts- und Ressourcennutzung sind dabei besonders wichtige Aspekte.
Wie Studien mehrfach belegt haben, sind die Südtirolerinnen und Südtiroler selbst für viele Gäste ein Grund, diese Region zu besuchen. Diese Stärke hängt mit der gewachsenen Produktqualität und der ebenfalls hohen Servicequalität zusammen – Eigenschaften, die genauso wie die authentischen Gastgeberqualitäten Südtirols nicht verloren gehen dürfen. Das Erfolgsmodell muss also weitergedacht werden. Je mehr Menschen in Südtirol am Tourismus partizipieren und je mehr Menschen sich in und mit dem touristischen Produkt wohlfühlen, desto stärker wird Südtirols Tourismus in seiner Gesamtheit. Es geht also vermehrt darum, Arbeitsplätze für einheimische Arbeitskräfte im Tourismus zu sichern, neue Arbeitszeitmodelle zu etablieren, persönliche Entwicklungsmöglichkeiten für Angestellte zu schaffen, durch neue Modelle der Betriebsführung auch der jungen Generation die Betriebsnachfolge schmackhaft zu machen, den Handel und die Kulturbranche in die Tourismusentwicklung zu integrieren und vieles mehr. Grundlegend dabei wird es sein, die Südtirolerinnen und Südtiroler selbst bei wichtigen Entscheidungen einzubinden und im Marketing Werte zu kommunizieren, mit denen sich die Bevölkerung identifizieren kann. So entsteht eine positive Tourismusgesinnung, die später durch positive Erfahrungen noch verstärkt wird.
Das Thema Gesundheit spielt im Leben der Menschen und damit auch im Hinblick auf die Urlaubsgestaltung eine immer wichtigere Rolle. Es geht dabei um mehr als reines Wohlbefinden. Es geht um körperliche, aber auch um geistige Gesundheit. Es geht um den Menschen selbst, um Achtsamkeit, um Resonanz mit der Umgebung, um Ruhe und um Einklang mit der Natur. Es geht nicht um das Heilen von Krankheiten, sondern darum, die eigene Gesundheit von der Jugend an bis ins hohe Alter zu bewahren und fit zu sein für die Herausforderungen des Lebens. Südtirol hat zu diesem Thema beste Chancen, eine führende Rolle einzunehmen. Die einzigartige Kombination aus intakter Natur, in der Gäste nach neuesten Erkenntnissen gestalteten Sport- und Bewegungsarten nachgehen können, und authentischen Gastgeberinnen und Gastgebern, die es verstehen, ehrliche Aufmerksamkeit zu schenken, bildet eine Stärke für sich. Beflügelt wird diese Stärke durch die Trends der Holistic und Preventive Health, ermöglicht durch die alpine und grüne Kompetenz Südtirols und seiner Unternehmen aus diversen Branchen, von der Ernährungsforschung über die Produktion hochwertiger Naturanwendungen bis hin zur Sportartikel- und Bekleidungsbranche.
Eine ganzheitliche und durchdachte Raumentwicklung ist in einer Region wie Südtirol, in der lediglich 6 Prozent der Gesamtfläche besiedelbar sind, essenziell für einen zukunftsfähigen Tourismus. Es geht u. a. um naturnahes und flächenschonendes Bauen, um die Integration der Architektur auch in die Raumplanung, um die Nutzung von Bestandskubatur für neue Projekte, um die Aufwertung der Dorfkerne und um neue Konzepte und Geschäftsmodelle für alternative Unterkunftsarten jenseits einer reinen Bettenmaximierung. Darüber hinaus bietet sich die Chance, Erfahrungsräume im Sinne der Einheimischen und der Gäste bewusst und übergreifend zu gestalten. Dabei ist ein gesamtplanerischer Ansatz wichtig: Zum einen sollen die urbanen Zentren Südtirols aufgewertet werden, zum anderen sollen dabei die Städte und die alpinen Täler gleichwertig berücksichtigt und gemeinsam in die Planung eingebunden werden.
In diesem Fokusfeld geht es vor allem um die Nebensaisonen. Eine gute Auslastung, verteilt auf das gesamte Jahr, ermöglicht u. a. eine Steigerung der Gesamtwertschöpfung, schafft Ganzjahresarbeitsplätze und steigert dadurch die Attraktivität der Branche, mindert den wirtschaftlichen Druck aus der Hochsaison und belebt die Dorfkerne und damit auch Handel und Handwerk außerhalb der Kernsaisonmonate. Als Basis für die Belebung der Nebensaisonen dienen zum einen die regionale Produktentwicklung, zum anderen die Steigerung der Markenbekanntheit sowie die Steigerung der Sichtbarkeit Südtirols für die konkreten Nebensaisonmonate. Auch das Thema Preisgestaltung spielt hier eine große Rolle. Ein weiteres Ziel: die Wertschöpfung des Kernangebots in der Hochsaison für jene Produkte und Regionen sichern, die durch den Klimawandel mittelfristig bedroht sind. Neue Geschäftsmodelle für Skigebiete können hier als eines von vielen Beispielen genannt werden.
Das Mobilitätsbedürfnis der Menschen steigt, auch nach der Covid-19-Pandemie. Zum einen ist dies Ausdruck eines neuen Lebensstils bei Jung und Alt, zum anderen private und berufliche Notwendigkeit. Vor allem für eine Bergregion bringt dies große Herausforderungen mit sich. Die Mobilitätslösungen eines Seitentals in Verbindung mit urbanen Zentren und großen Verkehrsachsen sehen anders aus als jene in den Großstädten Europas. Zentrale Themen sind nachhaltige und alternative Modelle für die Anreise nach Südtirol, die Mobilität in Südtirol selbst sowie Hotspot-Management und die intelligente Besucherlenkung über die Grenzen Südtirols hinaus – Stichwort Tagestourismus. Aus einer Notwendigkeit heraus kann Südtirol hier als Innovationstreiber hervorgehen. Trends wie die Sharing Economy, die E-Mobilität, die Bike Mobility oder die Micro und Seamless Mobility zeigen neue Möglichkeiten und Chancen auf, derer sich Südtirol bedienen kann. Darüber hinaus geht es um die Mobilitätsvermeidung. Der Trend hin zu Third Places oder die Workation-Bewegung können für Südtirol relevant werden.
Im nächsten Schritt geht es darum, auf Basis der genannten Fokusfelder konkrete, messbare Ziele zu definieren, konkrete Lösungsansätze und darauf aufbauende - auch mehrjährige - Programme zu entwickeln und umzusetzen. Dies kann und soll nicht „top down“ geschehen, sondern bedarf eines partizipativen Prozesses bzw. eines co-kreativen Ansatzes - einerseits um dem festgelegten Wert „gemeinschaftsverantwortlich“ zu entsprechen, andererseits, damit sich die Beteiligten später mit dem Ergebnis identifizieren können.
Projekte im Rahmen der Fokusfelder: